Piper Gilles und Paul Poirier gehen mitten in der Saison auf volles Risiko und wechseln die Kür. Long-Program.com hat sie in Moskau zu ihren Zielen, Erwartungen sowie künstlerischen Freiheiten und ihrem Trainerteam interviewt.
Man kann Sie als eines der kreativsten Paare in der Kategorie Eistanz bezeichnen, wo finden Sie so viele interessante Ideen für ihre Choreografien? Wer inspiriert sie?
Paul: Ich glaube, Piper und ich sowie unsere Trainer Carom und Juris sind ein gutes Team. Wir alle, wenn wir gerade etwas kreieren bzw. unsere neuen Programme entwickeln, haben überhaupt keinen Filter für die Ideen. Selbst wenn eine Idee einem total verrückt vorkommt, wir sprechen darüber und versuchen sie umzusetzen, wir prüfen trotzdem, ob sie funktioniert. So entstehen unsere Programme. Wir geben jeder Idee eine Chance und prüfen sie. Vielleicht ist es das, was es uns ermöglicht, unsere Programme anders zu gestalten. Wir wissen, dass unsere Trainer uns diese gewisse Unabhängigkeit erlauben und lassen uns etwas machen, was uns wirklich am Herzen liegt.
Wer kreiert die Kostüme für Ihre Programme?
Piper: Alle entwickeln Ideen. Es ist eine Zusammenarbeit des Teams. In diesem Jahr habe ich mehr als sonst mitgewirkt und das ist meine Leidenschaft, Kostüme zu gestalten. Paul ist leicht dafür zu gewinnen. Er sagt so etwa wie “Ok, das funktioniert für uns beide, ich finde es ok”.
Paul: Wenn ich gute aussehe, kann ich gut laufen!
Piper: Wir versuchen die Vorstellungen der Menschen durch unsere Kostüme auszudehnen. Ein Kostüm unterstreicht den Charakter und schafft die richtige Stimmung für das Programm. Damit können die Zuschauer sofort verstehen, worum es geht. Ich glaube, ein Kostüm hat eine sehr große Bedeutung, denn manchmal sieht das Kostüm sehr gut aus, aber es hat etwas mit der Musik zu tun. Man kann die Kostüme mit der Kirsche auf der Torte vergleichen, das ist der letzte Schliff des Tanzes, den wir auf dem Eis zeigen.
Können Sie etwas über die Programme für diese Saison berichten?
Paul: Natürlich. Der Kürztanz ist ein lateinamerikanischer Tanz und stellt dar, was wir eigentlich immer zeigen wollten. Im ersten Teil zeigen wir typische Bewegungen für einen lateinamerikanischen Tanz. In der zweiten Hälfte des Programms kommt Mambo dazu. Das ist so eine Art Explosion, wenn die Bewegungen sich ändern, wir öffnen uns nach außen, die Geschwindigkeit nimmt zu und die Bewegungen richten sich mehr nach außen als nach innen. Wir wollten den Kontrast zeigen und veranschaulichen, dass beides in einem lateinamerikanischen Programm möglich ist.
Für unsere Kür haben wir das Thema aus dem Film “Noir” gewählt, es ist ein schwarz-weißer Krimi. (es geht um den alten Kürtanz – Anm. der Red.) Ich bin der Detektive und sie ist eine Femme Fatal. Diese Frau erobert mich langsam und wenn ich schließlich in ihre Falle tappe, verletzt sie mich. Und das ist die Geschichte, die dahinter steckt. Zunächst bin ich ein wenig skeptisch, ich kenne sie ja nicht, aber dann gewinnt sie mein Vertrauen. Ich glaube – „oh wir können etwas zusammen unternehmen!“, aber dann stoßt sie mich weg und zeigt – „Ach, das war nur ein Spiel und ich habe dich die ganze Zeit nur an der Nase herumgeführt!“
Welche Ziele setzen Sie für die Saison?
Piper: Wir möchten auf jeden Fall zu Olympischen Spielen und das ist definitiv unser größtes Ziel. Außerdem wollen wir, wie jedes Jahr versuchen, auf das Podest zu kommen. Im Laufe der Saison müssen wir einen großen Schritt nach vorne machen. Das heißt: mit jedem Auftritt müssen wir uns verbessern. Wir sind langsam in die Saison gestartet und müssen zum richtigen Zeitpunkt unsere Top-Form erreichen und unser Bestes während den Olympischen Spielen zeigen. Wir möchten der Welt zeigen, wozu wir wirklich fähig sind. Das ist unser Ziel.
Diese Saison ist eine Olympische Saison. Haben sie deswegen mehr Druck oder mehr Motivation?
Paul: Beides. Wissen sie, es steht viel auf dem Spiel und das motiviert uns, noch härter zu arbeiten, noch mehr herauszuholen als sonst, aber das ist typisch für eine olympische Saison. Das bedeutet für jeden Sportler mehr Stress, aber man zeigt auch das Beste. Das fordert heraus, über die Grenzen zu gehen, mehr Energie zu entfesseln. Deshalb sind die Olympischen Spiele der größte und der wichtigste Wettbewerb.
Bei diesen Spielen wird zum zweiten Mal der Team-Wettbewerb organisiert. Was meinen Sie, bedeutet es noch mehr Verantwortung für Sie, nicht nur für sich selbst anzutreten, sondern als Team?
Paul: Das weiß ich nicht, wir sind nie in einem Team gelaufen.
Piper: Wir wissen es wirklich nicht. Ich glaube, es könnte interessant sein, Teil einer Mannschaft zu sein, einen Anteil an der Medaille zu haben. Ich glaube, das gibt uns die Möglichkeit eine weitere Medaille in unserer Disziplin zu gewinnen. Wir treten alle für unser Land an und präsentieren unsere Fahne. Wir sind nie bei den Team-Wettbewerben gelaufen, auch bei der WWT nicht und es wird eine neue Erfahrung für uns sein, aber wir wissen noch nicht, wer unser Team präsentieren wird.
Vor dem Wettbewerb sind Sie immer sehr konzentriert, manchmal scheint es, dass sie mit den Blicken töten können. Was hilft Ihnen sich zu konzentrieren?
Paul: Ich glaube, hier werde ich nur für mich sprechen. In den Augenblick, wenn man unsere Namen nennt und wir auf dem Eis stehen, haben wir uns bereits in die Charaktere versetzt, die wir im Programm darstellen. In diesem Moment kann man vieles denken und tausende Gedanken im Kopf haben, aber ich versuche mich in meine Rolle zu versetzten. Sagen wir es so, wenn ich bei dem Kürtanz ein Detektiv bin, dann denke ich nach, was ich in dieser Rolle machen würde, bevor ich meine Partnerin sehe. Vielleicht versinke ich zu tief in meine Gedanken, aber ich versuche, mich auf etwas bestimmten zu konzentrieren. Ich versuche, den Beginn des Programms in meinem Kopf durchzuspielen, so dass es für mich real wird. Und wenn die Musik ertönt, bin ich da. Ich bin in der Rolle, ich bin 100 % in meiner Rolle präsent.
Piper: Wir sind wie Schauspieler. Wenn wir es nicht gelernt hätten, würden die Menschen unsere Nervosität bemerken. Wir sind auf dem Eis, um unsere Arbeit zu machen, egal ob es im Bauch rumort, aber wir müssen genau wie Schauspieler alles daran setzten, damit Menschen uns glauben. Wenn ich nicht in der richtigen Stimmung bin, habe ich den Eindruck, dass ich nicht richtig mit meinem eigenen Körper verbunden bin. Man muss Emotionen haben, aber sie müssen eins mit der Performance sein.
Welcher Wettbewerb war für Sie besonders emotional und ist dadurch in Erinnerung geblieben?
Piper: Das war beim Skate Canada bei dem Kürtanz. Da kann ich mich bis jetzt an jeden einzigen Schritt des Tanzes erinnern. Wir sind so aufgetreten wie nie zuvor. Wir müssen es nun genauso machen und uns Mühe geben, dass alles genau zu einem richtigen Punkt läuft, und wir möchten das gleiche Gefühl im Februar erleben.
Paul: Genau!
Sie haben in Ihrer Karriere viele Tänze auf dem Eis gezeigt. Welche Programme mögen Sie am besten?
Paul: Oh, das ist eine schwierige Frage.
Ok, vielleicht dann stelle ich die Frage anders – welcher Tanz war am schwierigsten?
Piper: Es war unser erstes Jahr auf internationaler Ebene, unsere Kür. Es war ein Programm, bei dem wir unseren wilden Geist gezeigt haben. Wir sprechen immer noch davon. Wir waren neu und Menschen haben vermutlich gedacht – Oh mein Gott, was machen sie denn? Wir waren so, wie wir eben sind. Mein Gott, was haben wir uns dabei gedacht, dass war sehr kompliziert, dynamisch und wir zeigten wie wir eben sind. Ich kann kaum andere Worte finden, um das Programm zu beschreiben, -das war schwierig und interessant zugleich. Das waren wir. Und dieses Programm ist meine Lieblingskür. Ich mag auch Tango, wir hatten viele interessante Auftritte.
Paul und was meinen Sie?
Paul: Ich würde dasselbe sagen. Und wir waren damals ein neues Paar und ich glaube unsere Fähigkeiten waren nicht auf dem Niveau wie wir das Programm heute laufen würden. Ich glaube diese Choreografie hat es uns ermöglicht, so viel zu erreichen.
In Ihren Biografien auf der ISU Seite kann man viel über Ihre Hobbys nachlesen. Und bei Paul steht, – „Ich tanze gern in der Öffentlichkeit“. Stimmt es? Einfach so tanzen, auch ohne Piper?
Paul: Tanzen in der Öffentlichkeit? Ja, ich mag es, ich entfalte mich in der Öffentlichkeit.
Und Piper?
Piper: Ich habe keine Angst es genauso zu machen. Paul ist der Meister beim Tanzen in der Öffentlichkeit. Das ist wie auf einer Party, eine Musik kommt und man weiß es nicht genau, was es ist und man beginnt zu tanzen. Oder wenn ich in einem Geschäft bin und eine Musik höre, tanze ich immer mit den Füssen mit. Wir haben keine Hemmungen uns zu bewegen. Vielleicht deshalb besteht unsere Leidenschaft für diese Sportart, weil wir Bewegungen an sich mögen und wir mögen es zu tanzen. Und ich glaube, Menschen können es sehen. Viele mögen es, in der Öffentlichkeit zu tanzen, weil es Spaß macht.
Sie haben eine Fanseite auf Facebook, so können Sie immer mit Ihren Fans in Verbindung bleiben, hilft es Ihnen, diese Unterstützung zu spüren?
Paul: Auf jeden Fall. Das ist sehr nett, über Facebook mit Menschen aus aller Welt zu kommunizieren. Irgendwann trifft man sie persönlich. Ich glaube unsere Fans spielen eine große Rolle und diese Verbindung fördert uns, weiterzumachen und uns zu entwickeln. Ich glaube wir zeigen unsere Programme für Wettkämpfe, um zu gewinnen aber andererseits auch, um Menschen damit zu unterhalten und ihnen zu zeigen, was ihnen gefällt. Selbst wenn ein Wettbewerb nicht so gut läuft, wie wir gedacht haben, hören wir immer wieder von den Menschen “Wir mögen es, was ihr macht, das ist sehr speziell und das macht uns glücklich”. Und diese Worte geben uns Mut und Motivation weiterzumachen, manchmal ist man selber frustriert, aber diese Kommunikation hilft. Und ich finde, das ist großartig.
Piper: Ich glaube, unsere Fans sind nicht nur an unsrem Laufen interessiert, sondern sie haben auch das Interesse an uns als Menschen, für unser Leben außer des Eises. Das ist toll, wenn man zu einem Wettbewerb kommt und weiß, dass jemand die gleichen Interessen und Hobbys mit uns teilt und dann sprechen wir miteinander. Wir sind immer überrascht, was unsere Fans alles mitmachen und wie sie unsere Sportart genießen. Diese Sportart verbindet Menschen und unsere Treffen mit ihnen sind wie Begegnungen mit Freunden. Einige Menschen aus Frankreich kennen z. B. gute Antikquitäten- Geschäfte in Paris und empfehlen sie uns. Einige schenken uns Schokolade und empfehlen, wo man gut essen kann. Sie sind immer an uns interessiert, nicht nur als Läufer, sondern auch als Menschen. Wir sind ja schließlich nicht nur Eiskunstläufer, sondern Menschen.
Was können Sie über Ihr Trainerteam sagen?
Paul: Sie sind wunderbar
Piper: Sie lassen uns so sein, wie wir sind. Sie fördern uns, sie haben keine Angst vor Herausforderungen, die mit gewissen Risiken verbunden sind. Sie riskieren etwas, genauso wie wir, sie mögen diese Sportart, weil sie Sportler trainieren, die Grenzen austesten. Ich glaube es macht ihnen auch Spaß an unserer Seite zu sein und uns zu helfen, uns zu entwickeln und mit uns zusammen das Beste erreichen wollen.
Paul: Was wir besonders schätzen an dieser Trainingsschule ist, dass wir alle unterschiedliche Ansichten haben, niemand läuft dasselbe, sie lassen uns etwas machen, was in unserem Sinne ist. Sie zeigen den Weg und fordern uns. Wir bleiben immer authentisch, so wie wir sind, deshalb genießen wir auch den Prozess. Sie helfen uns, uns mit jedem Jahr weiter zu entwickeln und noch bessere Leistungen zu zeigen.
Vielen Dank!
Interview: Veronika Potaturko, Moskau