Am Ende lag sie in seinen Armen, atmete schwer, schloss die Augen – seine Esmiralda. Er blickte ihr tief in die Augen, und dann hat sie ihm etwas zugeflüstert. Niemand außer ihm konnte es hören. Er lächelte und sie standen auf. Notre Dame de Paris. Und dann noch auf dem Eis… Christian Nüchtern und Shari Koch, die vor einigen Sekunden ihre Kür zu Notre Dame de Paris in Minsk bei den Europameisterschaften zu Ende gelaufen sind. Langsam bewegten sie sich zur Bande. Nun mussten sie auf die Noten warten.

In diesem Interview sprechen sie von der Saisonvorbereitung, von ihren Tänzen und klären auf, was Esmiralda am Ende zu ihrem Partner sagte.

Shari, Christian, könnt ihr ein bisschen über die Vorbereitung auf diese Saison sagen?

Christian: Wir haben im Sommer in Italien ein vierwöchiges Trainingslager absolviert, wir arbeiteten mit unserem Team in Mailand, wir haben aber vier Wochen in Pinerolu trainiert, nahe des Olympiaortes 2006. Hier haben wir unsere Programme vorbereitet und aufgebaut, danach waren wir mit den anderen Paaren eine Woche in Dortmund und haben am Sommer-Wettbewerb teilgenommen. Das war sehr früh, mit anderen Worten – wir sind sehr früh in die Saison eingestiegen. Das war aber sehr gut, weil wir relativ früh dem Druck bzw. dem positiven Druck ausgesetzt waren, mit den Programmen fertig zu werden. Der erste Wettbewerb war dann die Nebenhorn Trophy in Oberstdorf.

Und bei diesen zwei Wettbewerben, also in Dortmund und Oberstdorf habt ihr ein Feedback bekommen?

Christian: Ja, gerade in Dortmund haben wir sehr viel Feedback bekommen. Wir mussten danach sehr viel in der Choreografie umstellen, haben die Musik geschnitten damit sie ein bisschen besser wirkt.

Tempo?

Shari: Wir haben im letzten Teil der Kür einige Elemente umgestellt, ein Element nach vorne genommen.

Christian: Es war zu schwerfällig am Anfang: zu viel Paarlauf und zu wenig Eistanz. Nach der Umstellung wirkte das Programm ein bisschen ausgeglichener und da lief es einfach besser, es war einfacher zu laufen, wir waren damit ausdruckstärker.

Sprechen wir jetzt über rhythmischen Tanz: Was macht einen Tango aus?

Shari: Ich würde sagen, es ist die Connection untereinander, schließlich handelt es sich um einen intimen Tanz. Dabei haben wir noch einen Milonga Tango gewählt, das ist noch intimer, noch weicher. In diesem Tanz gibt es nicht so viele zackige Bewegungen.

Christian: es wirkt nicht so aggressiv!

Shari: Und gerade das unterscheidet unseren Rythm-Dance von den anderen. Anschließend kommt noch Swing und das machen nicht viele…

https://www.youtube.com/watch?v=7tuVcguCnsY

Wer hat es ausgewählt?

Christian: So haben wir zu viert mit unseren beiden Trainern im Sommer entschieden, Wir wollten etwas anderes probieren.

Shari: Die Musik hat Barbara gefunden.

Christian: Sie hat uns die Musik vorgespielt und wir haben es direkt genommen, denn das war genau das, was wir wollten. Es klingt nach ein bisschen mehr Verliebtheit, man muss nicht so böse aufeinander schauen, nicht so agressiv, sich nicht so scharf bewegen, wie bei vielen Paaren. Klar, das ist auch schön, aber wir wollten damit ein Spiel zwischen uns zeigen.

Wolltet ihr nicht aufeinander bösen schauen?

Beide: Nein!

Gibt es aber so was im Training ?

Beide: Ja!

Christian: Aber das ist auch wichtig, streiten zu lernen, das ist wichtig, wie man richtig streitet und dabei nicht so viel Zeit verliert. Es ist wichtig für die Arbeit auf dem Eis, man lernt anschließend daraus. Ich glaube in den letzten zwei Jahren haben wir es gut gelernt. Wir sehen uns sieben Stunden am Tag, ich glaube, wenn wir uns nicht streiten würden, wäre es nicht normal. Es ist wichtig, man muss Grenzen kennen, man muss sich trotzdem gegenseitig immer unterstützen.

Shari: Es gibt kein Paar – und wir trainieren ja mit mehreren zusammen, das sich gar nicht streitet.

Warum habt ihr für den Kürtanz Notre Dame de Paris gewählt? Welche Geschichte steckt wirklich dahinter?

Shari: Gute Frage! Ich weiß selber nicht mehr, wie wir das entschieden haben. Wir konnten lange nichts Passendes finden, aber diese Musik hat uns immer fasziniert, aber wir haben uns nicht getraut, dazu zu laufen. Nach Meryl Davis und Charlie White… ihr Tanz dazu war ein Hammer und wir hatten Angst, dass die Leute sich erinnern, wie toll ihr Programm war…

Angst vor dem Vergleich?

Christian: Ja, aber ich glaube, wir haben es gut hinbekommen, dass wir nicht in die Richtung gegangen sind.

Shari: Unser Tanz ist ganz anders geworden und außerdem sind es schon paar Jährchen her, dass sie es gelaufen sind.

Ich habe heute gesehen, dass vor allem das Ende des Kürtanzes sehr emotional ausfiel. Wie bekommt man es hin, wenn man gesundheitlich noch angeschlagen ist? (Shari war stark erkältet – Anm. der Red.)

Shari: Oh, dann funktioniert es noch besser…

Christian: Wir waren heute ein bisschen nervös wegen Sharis Gesundheit, weil es Shari seit gestern nicht so gut geht, es ist für sie eine Belastung, aber es ist auch für mich eine Belastung, weil ich nicht einschätzen kann, was ich auf dem Eis mit ihr machen darf. Kann ich sie pushen? Muss ich ihr helfen? Am Ende haben wir es heute gut gemacht und danach, das erste was, sie zu mir gesagt hat, war – wir haben es geschafft! Ich habe gemerkt, Shari, du lagst in meinem Arm und hast so stark geatmet, aber es war schön, dass wir trotzdem aufgetreten sind.

Shari: Ich habe seit gestern keine Stimme, bekomme nicht viel Luft und ich hatte Fieber. Ich war erleichtert, dass wir so gelaufen sind. Wenn ich gesund wäre, hätte ich noch mehr Schwung reinbekommen können…

Christian: Wir hätten heute morgen sagen können, wir laufen nicht, aber Shari ist so eine Person, die schüttelt dann nur den Kopf und wenn ihr alle sagen, du darfst nicht laufen, läuft sie wahrscheinlich trotzdem. Klar, wenn der Arzt ein klares „Nein“ sagt, würden wir es nicht machen. Aber wir haben uns alle Sorgen um Shari gemacht. Sie ist nicht unbedingt die Person, die es zeigen will, dass sie gerade geschwächt ist, das ist auch ihre Stärke. Sie ist eine starke Partnerin.

Shari und welche Stärke hat Christian?

Auf jeden Fall ist er die Person, auf die man sich immer verlassen kann, und wenn wir schon mal streiten, dann kommt er und entschuldigt sich. Er reflektiert auch gut.

Ich habe gesehen, dass ihr ab und zu Bilder aus Deutschland auf Instagram postet. Seid ihr oft zu Hause?

Christian: Zu wenig, aber es geht halt nicht anders. Aber dank EU und billigen Flügen kann man es gut hinkriegen, wir wohnen beide nicht weit weg vom nächsten Flughafen und man fliegt in nur einer Stunde nach Hause: nach Köln oder Düsseldorf. Das ist sehr schön. Die Italiener sind schon ein bisschen anstrengend für uns Deutsche (lacht)

Shari: Das ist eine andere Mentalität und wenn man nach Deutschland kommt, ist es hier ein bisschen ruhiger, das passt ganz gut.

Wie kommt man dann mit italienischen Trainern klar?

Christian: Das funktioniert gut! Sie reagieren sehr emotional und wenn wir sehen, dass sie während des Programms mitrennen und schreien, dann sind sie voll dabei mit voller Emotion. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Und beim Eistanzen ist es wichtig, dass diese Emotionen nicht einfach aufgesetzt sind, sondern dass sie echt sind.

Shari: Wir sehen, dass sie für uns alles machen und tun, so dass wir uns verbessern.

Christian: Wenn Barbara an der Bande steht, ist sie voll dabei, sie ist nervöser als wir es sind. Und Stefano ist immer mitten drin und es ist immer ein gutes Gefühl.

Habt ihr auch vor, ein Trainingscamp woanders zu machen und andere Erfahrungen zu sammeln?

Shari: Das haben wir noch nicht entschieden.

Christian: Es ist wichtig, dass man mal eine andere Stimme hört, es ist immer gut und unsere Trainer sind immer offen dafür, wenn man andere Kritiken hört. Aber wenn wir es machen, dann ist es nur in der Saisonvorbereitung. Sonst würde es wahrscheinlich nur störend sein, viele Meinungen sind nicht gut. Man muss eine Routine entwickeln. Und es klappt, wenn wir in Mailand kontinuierlich trainieren.

Habt ihr Vorbilder?

Shari: Zunächst sind es unsere Teamkollegen – Charlene und Marco. Die Art und Weise, wie sie arbeiten… man kann sich eine Scheibe davon abschneiden.

Christian: Die Leidenschaft von Barbara, als sie noch aktiv war, ist auch sehr beneidenswert.

Shari: und natürlich traumhaft sind die Franzosen!

Christian: diese Weichheit… sie laufen vier Minuten, aber es sieht so einfach aus, so weich ohne Schwierigkeiten, und was sie machen ist trotzdem unglaublich schwer.

Shari: Ihre Beherrschung der Schlittschuhe, wie sie auf dem Eis gleiten, schweben… – jeder möchte so Eis laufen können.

Vielen Dank fürs Interview!

Alexandra Ilina, Minsk 2019

 

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