Philippe, Sie präsentieren die diesjährige Tournee der französischen Eiskunstlaufmannschaft. Erzählen Sie mir bitte darüber!

Der französische Verband hat nach einer Pause diese Tournee wieder  gestartet. Ich wurde angefragt, ob ich daran teilnehme und die Show präsentiere. Es ist das erste Mal, dass ich seit 20 Jahren wieder dabei bin. Bei der EM gibt es nicht so viele Interessenten für die Eisgala, weil darin keine artistische Ausrichtung vorhanden ist. Menschen sind ja bereit für Shows zu zahlen aber dafür möchten sie wirklich eine Show sehen: mit Artistik, mit professionellem Licht und mit guten Verbindungen zwischen den Auftritten. Ich bin seit 20 Jahren in Showgeschäft und weiß, wovon ich spreche. Das war meine Bedingung, wenn ich diese Tournee präsentiere, müssen wir wenigstens das Minimum davon liefern. Für mich ist es sehr wichtig. Wir haben nicht alle Tickets für Galas verkauft, aber viele Menschen waren in den Eishallen – als Gäste- das ist gut für die Popularität unserer Sportart. In diesem Jahr hatten wir 26 Shows gezeigt.

Was ist das Hauptziel der Tournee?

Der französische Verband will damit kein Geld verdienen, das Hauptziel ist, unsere Sportart bekannter zu machen. Wir haben bei dieser Tournee einige Details geändert, zeigen Artistik und die Programme der Eiskunstläufer sind miteinander verbunden. Die Show mag kürzer scheinen, aber dafür gibt es jetzt mehr Dynamik. Die Kinder von lokalen Clubs haben auch die Möglichkeit bekommen, bei der Show zu laufen. Außerdem konnten sie vor der Show mit französischen Meistern trainieren. Das ist nur eine halbe Stunde – aber für sie ist es sehr wichtig. Bei dieser Tournee haben wir Silbergewinner von den Olympischen Spielen, Weltmeister, Bronzegewinner bei der WM, französische Meister. Wir hatten guten Erfolg erzielt, aber ich denke, wir müssen diese Tournee besser promoten.

Was meinen Sie, was ist die Zukunft des Eiskunstlaufens?

Ich würde sagen, die Zukunft sieht vor allem für technische Läufer gut aus.

 Aber es kommen ja neue Regeln…

Ja, das ist gut, dass etwas geändert wird. Das Eiskunstlaufen ist in Gefahr, weil die Menschen nicht mehr so viel Interesse daran haben, und der Grund dafür ist, dass Eiskunstlauf zu technisch geworden ist und das Künstlerische in den Hintergrund geraten ist. Vor allem für den europäischen Eiskunstlauf ist es nicht gut, weil Eiskunstläufer aus Europa niemals Läufer aus China oder Japan erreichen.

Konnten Sie sich zu Ihren Zeiten schon vorstellen, dass die Vierersprünge so viel an Bedeutung gewinnen?

Wir wussten, dass wir die Olympischen Spiele nur mit einem Quad gewinnen konnten, in Nagano hat Kulik zwei gemacht. Man muss ein Eiskunstläufer sein, der einer Katze ähnlich ist – dünn, mit schmalen Hüften. Wenn man beste Läufer nimmt, sind acht Asiaten, Javier ist eine Ausnahme. Wir vermissen jetzt im Eiskunstlauf ein Stargesicht, so wie es damals Pluschenko war. Für mich war Plushenko der letzte Star in unserer Sportart. Menschen konnten ihn wiedererkennen, anhand seines Gesichts, seiner Frisur, er hob sich durch seine Eigenart von den anderen ab, er hatte Charisma. Ich möchte damit nichts Schlechtes über die anderen sagen, aber sie waren technisch gut. Allerdings hatten sie keine Zeit, sich künstlerisch zu entwickeln und schöne Programme zu zeigen. Können Sie sich noch erinnern, zu welchem Programm Yuzuru in Sochi lief?

Ich glaube, zu japanischer Musik, er zeigte einen originalen Stil.

Aber Sie können sich sofort  an Katarina Witts Carmen erinnern. Viele Menschen haben mich als D’Artanian oder als den Paten in Erinnerung. Wir müssten Eiskunstlauf popularisieren, weil er sich jetzt zu einer extremeren Sportart entwickelt hat. Wir verlieren unsere Zuschauer, weil Menschen nicht mehr die Wertung und die Noten nachvollziehen können. Früher konnten sie die Noten der Preisrichter direkt sehen. Jetzt sehen sie nur Punkte, Punkte, Punkte und sie verstehen nicht, wie diese Punkte zustande kommen. Sie mögen Eiskunstlauf, weil sie von diesem Sportart fasziniert sind, ohne die Regeln zu verstehen. Weil es eine Art von Kunst ist, aber jetzt verliert unser Sport diesen Namen – das ist Eislauf – aber keine Kunst mehr, die Kunst kann man in Programmen nicht mehr finden. Die Sportler möchten mehr mehr mehr Punkte bekommen. Alle machen viele Fehler und derjenige, der sich am wenigsten Fehler leistet – gewinnt. Sie zeigen keine interessanten Programme mehr. Meines Erachtens muss der Name dieser Sportart geändert werden. Wir müssten eine Weltmeisterschaft in Technik durchführen und danach eine weitere Weltmeisterschaft – mit Kunst.

Meinen Sie, dass es ein globales Problem ist?

Eiskunstlauf ist erfolgreich, weil viele Menschen es im Fernsehen erleben und wenn wir eine EM oder WM haben, sind die Tickets sofort ausverkauft. Das heißt – diese Sportart ist noch populär. Ein anderes Problem besteht aber darin, dass das globale Eiskunstlaufgeschäft in Asien abläuft. In China oder in Japan. Die letzten drei Olympischen Spiele (im Winter und im Sommer) waren in Asien. Und Menschen in Europa können es nicht live verfolgen, weil die Wettkämpfe nachts stattfinden. Und wenn sich das Business auf Asien konzentriert, verliert Eiskunstlauf in Europa an Popularität. Die Olympischen Spiele finden alle vier Jahre statt und in olympischen Jahren haben wir in der Regel etwa 25 Prozent mehr interessierte Kinder, die in die Eishallen kommen. Sie bekommen das Interesse durch Olympia. In diesem Jahr hatten wir nur 10 oder 12 Prozent, weil die Olympischen Spiele in der Nacht übertragen wurden.

 Können Sie sich vorstellen als Trainer mit Kindern zu arbeiten?

Ich mache es nicht professionell, weil ich selber noch eislaufe und mein Leben und meine Geschäfte nicht nur aus Eiskunstlauf bestehen. Ich arbeite im Fernsehen, ich organisiere Seminare. Das Problem ist, wenn man als Trainer arbeitet, muss man 100 Prozent geben, Zeit und Kraft muss man als Trainer seinen Schülern widmen. Diese Zeit habe ich nicht. Ab und zu helfe ich einigen Kindern, es geht um Trainingseinheiten von 40 Minuten. Es ist heute für mich schwierig, dreifache Sprünge zu zeigen, mein Körper tut sich schwer damit. Ich möchte bis 50 noch laufen und dann werde ich diesen Geburtstag mit einer Show auf dem Eis feiern und ich möchte eine Tournee starten.

Nur in Frankreich?

Ja, in Frankreich. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich es z. B. in Deutschland tun würde, weil mich niemand dort kennt. Vielleicht nur einige wenige Eiskunstlauffans. Das ist mein Projekt und wenn man mit 50 Jahren aufhört, denke ich, dass es genug war.

Warum nehmen Sie an so vielen TV-Shows teil?

Ich finde es interessant und wenn mich das Projekt interessiert, nehme ich daran teil. Ich bin nur ein Eiskunstläufer und kein Fußballspieler, der während seiner Sportkarriere genug Geld für den Rest seines Lebens verdienen konnte. Das ist  mein Job, ich bin da, weil ich populär bin und ich werde auch zu TV-Shows eingeladen. Aber ich mache es nicht nur für das Geld, es ist eine Herausforderung für mich. Wenn ich mich in Shows nicht wohl fühle, würde ich es nicht tun.

Was mögen Sie mehr – in Eisshows zu laufen oder als Kommentator im Fernsehen tätig zu sein?

Früher habe ich gerne kommentiert, jetzt ist es mittlerweile kritischer geworden, weil ein einziges Wort viel ausrichten kann. Wenn ich spreche, nutzte ich dafür meinen spezifischen Humor. Ich mache Witze. Ich habe mit einem Journalisten gearbeitet, der konservativ war und wir hatten unterschiedliche Meinungen, deshalb war unser Tandem so erfolgreich. Ich konnte über schöne Frauen, ihre Figuren sprechen und mein Kollege über schön ausgeführten Flip. Jetzt aber, wenn man in Frankreich spricht, muss man genau aufpassen, was man sagt. Ich kann nicht einfach so jemandem sagen – oh, du bist aber wunderschön. Ich kann auch nicht sagen, wenn ich einer schönen Frau begegne, dass sie attraktiv sei. Wir sprechen nicht mehr an, was wir fühlen. Und Eiskunstlauf ohne Gefühle zu kommentieren, bedeutet Stress für mich. Ich werde heute während der Gala moderieren und ich werde auch meine Witze machen. Übrigens benutze ich nie dieselben Witze. Ich bin sehr nah an den Eiskunstläufern, weil ich selber einer bin, ich bin Eiskunstläufer und kein Journalist. Und ich weiß genau, was sie fühlen und was sie sagen möchten, wenn sie bei einem Sprung gepatzt haben.

Haben Sie noch Kontakt zu ihren ehemaligen Rivalen, wie Urmanov oder Kulik?

Leider nicht genug. Nachdem wir unsere Sportkarriere beendet haben, hat jeder von uns sein eigenes Leben. Jetzt haben wir Facebook, aber bisher hat mich noch keiner kontaktiert. Wenn wir einander sehen, sind wir sehr glücklich und erinnern uns an unsere alten Zeiten.

Was ist die schönste Erinnerung aus ihrer Karriere?

Ich glaube, die schönste Zeit hatte ich, als ich Junior war.

Wieso?

Wenn Du Junior bist, bleibst Du Du selbst. Junioren fühlen sich auch nach Wettkämpfen körperlich sehr gut, sie kennen kein Risiko, sie sind immer frisch und munter und sind sicher, dass ihnen nichts passiert. Man hat keinen Druck, man reist rund um die Welt. Das war die schönste Zeit, als ich Junior war und nach Australien reisen durfte. In dieser Zeit habe ich verstanden, wie glücklich ich eigentlich war. Ich war 15 Jahre jung und ich reiste nach Australien! Ich hatte nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren, niemand konnte was Schlechtes über mich sagen. Ich genoss es, jung zu sein. Die Junioren haben auch mehr Spaß, nachdem sie einen Wettbewerb beendet haben. Als Senior und mit einem bereits gewonnenen Titel denkst Du – oh, ich bin jetzt ein Champion, ich darf dies oder jenes nicht tun. Man nimmt sich dann zu ernst, weil man langsam zu einem Star wird.

Ich habe eine gute Karriere im Eiskunstlauf hinter mir. Ich habe meine Karriere gut mit meiner zweiten Medaille in Nagano in Japan beendet. Aber auch danach verlief mein Leben gut. Ich war glücklich, an der Tournee Champions on Ice mit Katarina Witt und den besten Läufern aller Zeiten teilnehmen zu dürfen. Wir traten vor 32000 Menschen auf, wir brachen Rekorde damit. Ich habe mein Programm “Rocky Balboas” in den USA gezeigt und Sie können sich vorstellen, wie das Publikum in den USA mich aufnahm, als die Zuschauer die amerikanische Flagge auf meiner Brust sahen. Ich bin jetzt 46 Jahre alt und noch populär und die junge Generation respektiert mich. Das ist gut. Und wenn Sie mich fragen, wann die beste Zeit in meiner Karriere gewesen sei, würde ich so sagen – von Anfang bis jetzt.

Was würden Sie jungen Eiskunstläufern raten?

Ich glaube, wir werden in der Zukunft eine neue Sportart auf dem Eis haben und das wird großartig. Wir könnten etwas ganz anderes entwickeln – z. B. Hockeyspiele. Jetzt ist Eiskunstlauf alt für die Olympische Bewegung. Das Olympische Komitee öffnet jetzt Türen für neue Sportarten. Einige Sportarten sind vor allem für die jüngere Generation interessant. Unsere Zuschauer werden auch älter. Seitdem wir Fußball bei den Olympischen Spielen haben, gucke ich das nicht mehr, weil es mich nicht interessiert. Es gibt so viele Spiele vor der Olympiade. Deshalb müssen wir so viele Menschen, wie wir können, auf das Eis locken. Das ist egal, ob sie dann Hockey spielen oder Short Track laufen oder sich für Eiskunstlauf interessieren. Wenn wir mehr Menschen dafür interessieren, kommen sie zu jeder Veranstaltung. In Frankreich gibt es nicht so viele Eishallen. Das ist nicht genug. In New York oder in Canada, nur rund um Montreal, gibt es 86 Eishallen.

In Russland auch!

Ja, in Russland auch. Aber wenn wir nicht genug Eishallen haben, haben wir nicht genug Champions, weil es lange dauert, Talente zu finden.

Vielen Dank für das Interview

Alexandra Ilina, Boulogne-Bollancourt